„Oh mein Gott, sie wollen ein Kleinunternehmen aufmachen“ Oder anders gesagt, wie Deutschland und die EU zusammen mit Amazon und Ebay Kleinunternehmern den Kampf ansagen.

Von Werner Rosemeyer, Kleinunternehmer am Rande des Nervenzusammenbruchs  

„Oh mein Gott, sie wollen ein Kleinunternehmen aufmachen“

Oder anders gesagt, wie Deutschland und die EU zusammen mit Amazon und Ebay Kleinunternehmern den Kampf ansagen.

 

Mein Name ist Werner Rosemeyer, bin verheiratet, hab es gewagt 4 Kinder in die Welt zu setzen und ich bekenne mich schuldig seit 21 Jahren erfolgreich ein kleines Einzelunternehmen aufgebaut zu haben mit je nach Konjunktur und Verfügbarkeit mit 1-3 Mitarbeitern/Auszubildenden oder Praktikanten. Ich bin ein heimatverbundener Ingenieur der Drucktechnik. Da es in meiner Heimatstadt nicht wirklich berufliche Alternativen für mich gab, habe ich seit 2001 ein kleines Druckunternehmen als Einzelunternehmer. Im Laufe der Zeit konnte ich eine Nische für mich ausmachen mit dem Druck und dem Direktvertrieb von Bingokarten und Zubehör auf Amazon, Ebay und meinem eigenen Onlineshop. Nicht nur meine Kunden sind glücklich einen zuverlässigen Lieferanten zu haben, sondern diese Spezialnische macht auch mich glücklich, weil die Konkurrenz in diesem Bereich nicht ganz so groß ist.

Im Laufe der Jahre habe ich schon viele Steine als Kleinunternehmen, welches es wagt online seine Produkte zu vertreiben, erlebt. Angefangen von mehreren Abmahnungen, die immer mal wieder ins Haus flattern, wo ich mal wieder eine neu eingeführte EU-Verordnung nicht mitbekommen habe und 4-stellige Beträge an betrügerische Rechtsanwälte zahlen muss, über die neue Verpackungsverordnung, wo einfach jedes Jahr Geld für Lizenzgebühren gezahlt werden muss - Fenster auf, Geld raus, Fenster zu - bis zur neuen Registrierkassenverordnung, wo die alte Kasse nicht mehr ausreicht und für 4-stellige Beträge neue Hardware etc. angeschafft werden muss. Viele Beispiele könnten noch folgen wie Kosten für die DSGV, Produktsperren wegen fehlender Konformitätserklärungen (bei Papier!), etc pp. Alles nicht schön und vieles davon einfach nur rausgeschmissenes Geld, persönliche Arbeit und schlaflose Nächte wie man alles bezahlen soll. Ganz zu schweigen von der Ungleichbehandlung und Zurückzahlung der Corona-Soforthilfe wo GmbHs ihr Geschäftsführergehalt als Kosten im Antrag gelten machen können, aber Einzelunternehmen keinen Unternehmerlohn anrechnen dürfen und wortwörtlich von Mitarbeitern des Bundestages gesagt bekommen, dass es dafür ja die Harz-4-Hilfe gibt, wo das Antragsverfahren deutlich erleichtert wurde. Ich muss bei diesen Zeilen schon lachen, wenn es nicht so abgrundtief beschämend wäre, so eine Empfehlung von oberster Stelle gehört zu haben. Zahlt man doch als Kleinunternehmen jedes Jahr erheblich in den Steuertopf ein, weil Kleinunternehmer zum Gewinn machen verdonnert sind. Schließlich muss die Familie ja irgendwie ernährt werden.

Aber das, was ich die letzten Tagen erlebt habe toppt in meiner Unternehmerlaufbahn einfach alles. Haben Sie schon mal was vom OSS-Verfahren gehört, sagt Ihnen der Name One Stop Shop etwas? EU VAT E-Commerce Package? Nein, warum nicht, es wird vorausgesetzt, dass das ja wohl hinreichend bekannt sein sollte. Es wird vorausgesetzt, dass jeder Unternehmer weiß was zu tun ist. Schließlich hat ja jeder Einzelunternehmer doch ein abgeschlossenes Studium im Steuerrecht. Ah sorry, ich gerade leider nicht. Aber dafür gibt es doch Steuerberater/innen. Also brauchte ich mir doch keine Sorgen machen. Meine Steuerberaterin hat schließlich eine extra Schulung für das OSS-Verfahren gemacht. Ich bin gerettet. Worum es beim OSS-Verfahren im Detail geht, kann ich Ihnen an dieser Stelle auch nicht genau erklären, aber nur soviel. Wenn ich als Unternehmen an Privatpersonen im Ausland verkaufe muss ich die Umsatzsteuer nun separat an die Bundeskasse in Trier vierteljährlich händisch überweisen. Soweit zur Praxis und das mache ich natürlich seit der Einführung im Juli 2021. In den ersten 10 Jahren meiner beruflichen Tätigkeit habe ich sogar die Buchführung selber gemacht. Jede Rechnung gebucht, die Ausgaben und die Abschreibungen, die Lohnbuchhaltung etc. Ich bin froh, dass ich das dann irgendwann in die Hände von Fachkräften ausgegliedert habe. Das würde heute auch als Ingenieur meine steuerlichen Fähigkeiten einfach übersteigen. Und warum das ganze, ja, weil z.B. Frankreich 20% Umsatzsteuer einbehält und Deutschland nur 19%. 

Gut soweit zum Hintergrundwissen und nun zu meiner Geschichte und dem Verkauf bei Amazon. Seit ca. 10 Jahren verkaufe ich meine Waren im Direktvertrieb auch auf Amazon. Dabei nehme ich am europäischen Vertrieb teil und meine Bingolose gehen auch nach Frankreich, Italien, Spanien usw. sprich über Amazon auch ins europäische Ausland. Ca. 1/4 meines Umsatzes generiere ich über diesen Vertriebsweg. Also nicht gerade wenig. Aus heiterem Himmel - nein, im Nachhinein muss ich zugeben, dass ich im Oktober 2021 schon eine E-Mail auf Englisch erhalten hatte - bekam ich nun eine E-Mail meine VAT-Number, also meine Umsatzsteuer ID Nummer würde nicht verifiziert werden können und daher wird mein Amazon-Konto gesperrt. What? Der Schweiß steht mir per Knopfdruck auf der Stirn und innerhalb Sekunden war ich in meinem Amazon-Konto. Ein großes rot-leuchtendes Feld stand dort mit dem Hinweis „Ihr Konto wurde deaktiviert“ Ich habe versucht erst einmal die Ruhe zu bewahren und jemanden dort anzurufen. Doch wo ist der Menüpunkt mit der „Hilfe“ geblieben? Da sperrt Amazon nicht nur mein Konto, sondern man wird auch von der sonst üblichen Hilfe per Telefon ausgesperrt! What? Und wieder merkte ich wie langsam die Panik in mir hochkroch. Schließlich kostet jeder Tag an dem ich nicht bei Amazon verkaufen kann, mir erheblich Geld. Herausgefunden habe dann folgendes, dass der Status meiner Umsatzsteuer-ID auf „Abgelehnt“ steht. Schon wieder kommt ein „What“, bei uns im Norden heißt es dann doch mehr „Watt“. Seit über 10 Jahren habe ich doch über Amazon erfolgreich verkauft. Habe ich denn dort eine falsche Nummer eingegeben, was jetzt erst aufgefallen ist? Ich kontrolliere die USt-Id einmal, zweimal, dreimal…. die Nummer stimmt doch, wo ist das Problem. Ich habe dann herausgefunden, dass es anscheinend ein Problem mit dem Adressabgleich gibt. Als ich als Kleinunternehmer mir vor 21 Jahren den Gewerbeschein geholt habe, habe ich natürlich meine Privatadresse eingegeben, da ich noch keinen eigenen Firmensitz hatte. Aha, also ist bestimmt die Adresse in meinem Konto auf die Firmenadresse und die Adresse der USt-Id auf meiner Privatadresse. Na und? Wo ist denn das Problem? Das ist doch schon immer so. Also gut, ich hatte tatsächlich die Möglichkeit dem Support eine E-Mail zu schicken und habe geschrieben, dass die USt-Id wohl auf meine Privatadresse läuft. Im Panikmodus habe ich gleich noch mehrerer E-Mails hinterhergeschickt, mit Screenshots, Gewerbeschein, Ausweis etc. was diesen Umstand belegen dürfte und mein Konto wohl wieder freigeschaltet wird - Zeit ist Geld dachte ich. 

Die erste schlaflose Nacht war vorüber. Keine Reaktion von Amazon. Stundenlang suchte ich in meinem Amazonkonto nach Möglichkeiten etwas zu unternehmen. Und tatsächlich fand ich in einem seitenlangen Text "Erfüllen der deutschen Steuerpflichten“ in dem Text ein Link mit dem ich tatsächlich einen Anruf bei Amazon tätigen durfte. Rief ich da also an: „Ihr Anruf kann wegen des hohen Aufkommens derzeit nicht angenommen werden“. Aber nach der zweiten schlaflosen Nacht hatte ich dann einen Mitarbeiter von Amazon. Ich habe versucht meine Wut, die tatsächlich ein unerträgliches Maß annahm zu verbergen. Mein Körper sagte mir „Schrei in das Telefon und mach den Mitarbeiter zur Sau.“ Das habe ich nicht getan und mich zusammengerissen. Er erklärte mir, dass ich jetzt genau zuhören müsse und folgende Schritte machen müsste. Ich brauche ein offizielles Dokument, wo die Umsatzsteuer mit der Adresse drauf steht, die ich auch bei Amazon benutze, sprich meine Firmenadresse. Dieses Dokument müsse ich dann zusammen mit dem Screenshot meiner Adresse in dem Amazonkonto an eine bestimmte E-Mail senden. Damit der Abgleich dann erfolgen kann solle ich noch bei einer anderen E-Mail Bescheid geben, dass ich meine Dokumente an die vorherige E-Mail geschickt habe. Kann man sich nicht ausdenken, ist aber so. 

Also mit meiner Steuerberaterin telefoniert. „Oh ja Herr Rosemeyer die USt.-Id läuft noch auf ihrer Privatadresse. Ich werde mich umgehend mit dem Finanzamt in Verbindung setzten, dass wir das ändern“. Tatsächlich bekam ich einen Tag später ein „Fax“ vom Finanzamt mit der Bescheinigung. Da das bei Amazon ein automatischer Prozess des Datenabgleich ist, mussten auch die Üs und Äs etc. übereinstimmen und mein Firmenname musste zur Sicherheit auch mit auf das Dokument, so dass Amazon sehen kann, dass alles drauf ist. Nach drei Faxen stimmte dann alles. Innerhalb von ein paar Minuten hatte ich dann diese beiden E-Mails geschrieben und dachte, o.k., ein paar Hundert Euro Umsatzeinbußen in diesen Tagen bringt mich nun nicht um….

Zwei Tage später die Antwort von Amazon, natürlich auf Englisch, ab ins Übersetzungsprogramm. „Name and Adress on DE VAT regristration“ ist eine andere als „Name and Seller on Seller Central“. Bis Oktober muss ich das ändern, sonst würde ich dauerhaft deaktiviert „Watt?“ Wie kann das sein? Ich hatte doch ein offizielles Schreiben des Finanzamtes hochgeladen, was die Adressgleichheit belegt. Panik und Ratlosigkeit machten sich wieder breit. Mittlerweile habe ich den Link schneller gefunden und hatte wieder einen Amazon-Mitarbeiter an der Strippe. Ein paar „Schreisätze“ konnte ich mir jetzt doch nicht verkneifen. Der Arme blieb ruhig und wir machten uns an die Arbeit. Er sagte, dass durch das OSS-Verfahren Amazon auferlegt wurde diesen Adressabgleich als automatischen Prozess durchzuführen. Amazon gehe zu diesem Zweck in die Datenbank des Bundeszentralamtes für  Steuern und gleicht in einem automatischen Prozess die dort hinterlegte Adresse mit der Adresse meines Verkäuferkontos ab. Stimmt bei diesem Abgleich die Adresse nicht überein, wird die USt.-Id als ungültig erklärt. Ich könne aber beim Bundeszentralamt für Steuern anrufen und meine dort hinterlegte Adresse erfragen und diese dann in meinem Verkäuferkonto eintragen. Nachdem dann alles erledigt ist, solle ich wieder diese E-Mail an Amazon schreiben und an die zweite E-Mail, dass ich die erste E-Mail geschrieben habe :-) . 

Freitag 15.35 Uhr - bis 16.00 Uhr ist da BZST zu erreichen. Tatsächlich habe ich noch eine freundliche Dame erreicht. Das zur „Sau machen“ habe ich mir schweren Herzens verkniffen, obwohl ich hier wahrscheinlich an der richtigen Adresse gewesen wäre. Nach einem kurzen Gespräch sagte ich der Dame meine Idee, doch die Adresse im Verkäufer-Konto zu ändern, damit das Ganze schneller gehen würde. Aber dann hätte ich überall meine Privatadresse eintragen müssen, ob ich denn das so wolle. Nein, das will ich nicht. Also müsse ich nun folgendes tun. Ich müsse eine E-Mail an das BZST schreiben, in der ich eine Euro Adresse beantrage. Diese Adresse muss dann gleich der Adresse in meinem Amazon-Konto sein. Auf die Frage, wie denn Amazon an die Daten von dem BZST kommt und wie das mit dem Datenschutz wäre. Ja, Unternehmen von der Größe von Amazon, die dürfen das. „What“ war wieder einmal meine Antwort. Soviel zum Datenschutz am Rande. Dann habe ich vorsichtig nachgefragt, wie lange denn das dauert, bis mein Firmenname mit meiner Firmenadresse beim BZST eingetragen wird. „Herr Rosemeyer, das wird schon ein paar mehr Tage dauern, da wir zur Zeit „TAUSENDE“ Anfragen erhalten. 

Die Odyssee ist also noch nicht zu Ende und ist mit dem BZST in die zweite Runde gegangen, nachdem die 1. Runde mit dem örtlichen Finanzamt zu Gunsten der Bürokratie, undurchsichtigem Steuerrecht, fraglichem Datenschutz und Willkür für Amazon und dem EU Steuerrecht entschieden wurde. Eine Sache habe ich noch vergessen. Als ich mit der Dame vom hiesigen Finanzamt über das allgemeine Kleinunternehmertum sprach und ob man überhaupt heutzutage in der Lage ist noch ein Kleinunternehmen zu führen, sagte Sie wenn zum Finanzamt jemand kommt, der ein Kleinunternehmen gründen will schlagen wir die Hände über den Kopf zusammen und sagen „Oh mein Gott, Sie wollen ein Kleinunternehmen aufmachen?“.

 

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